Interview: In Zukunft werden wir mehr Kunststoffe nutzen

Und warum dies eine gute Nachricht ist

Michael Carus im Gespräch mit Svenja Geerken

Michael Carus (MSc) Physiker, Gründer und Geschäftsführer des Nova-Instituts, ist seit über 20 Jahren im Bereich der Bio- und CO2-basierten Ökonomie tätig. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Marktanalyse, techno-ökonomische und ökologische Bewertung sowie die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen für biobasierte Prozesse und Anwendungen („level playing field for industrial material use“). Im Interview mit Svenja Geerken, von Bio-based News, wird erläutert warum wir mehr Kunststoffe nutzen werden und warum dies eine gute Nachricht ist.

Und wenn die Kunststoffindustrie schläft, darf sie sich nicht wundern, wenn die EU-Kommission und die nationalen Umweltministerien die Sache nun in die Hand nehmen. Die vor kurzem verabschiedete Kunststoffstrategie inklusive der Beschränkung und Verbote von bestimmten Plastik-Einwegprodukten ist die Konsequenz aus diesem Verhalten.

Svenja Geerken: Und macht die Politik es nun besser?
Michael Carus: Leider nicht. Natürlich gibt es sinnvolle Maßnahmen, wie das Verbot der oxo-abbaubaren Kunststoffe, die besonders schnell zu Mikroplastik zerfallen. Das Verbot bestimmter Einwegprodukte (der „Single-Use Ban“) ist reine Symbolpolitik und dazu schlechte, die wenig bewirken wird, aber eine Kunststoff-Hysterie anheizt, unnötige Produktverbote ausspricht und das Feld schlechteren Materialien überlässt - und das, ohne die wirklichen Probleme überhaupt zu tangieren.

Dabei gäbe es eine Reihe von Maßnahmen, die im großen Maßstab wirklich etwas bewirken würden: Kunststoffmüll-Exportverbote, Deponieverbote, Pflichtpfand für alle Kunststoffflaschen und alle Getränkearten, Verbot des Einsatzes von Mikroplastik und den verstärkten Einsatz hochwertiger Polymere statt Verbundsysteme, da diese einfacher zu recyceln sind (Design for Recycling). Weltweit könnten Kunststoffabfälle systematisch gesammelt und verwertet werden. Ein weltweiter Standard für den biologischen Abbau bestimmter Polymere könnte Risiken vermindern, wenn ein Entweichen in die Umwelt unvermeidbar ist. Und schließlich braucht es ein klares Konzept, wie der Umstieg von fossilem zu erneuerbarem Kohlenstoff bis 2050 erfolgen soll. Oder möchte die Kunststoffindustrie im Jahr 2050 als einer der größten und letzten Emittenten von fossilem Kohlenstoff am Pranger stehen? Als Zukunftsindustrie? Dabei würde eine Photovoltaik-Fläche von nur 1 Prozent der Fläche der Sahara genügen, um die gesamte chemische Industrie mit erneuerbarem Kohlenstoff zu versorgen - über solaren Wasserstoff und CO2 aus der Luft.

Svenja Geerken: Was ist am Single-Use Ban so schlecht, sind denn viele Produkte nicht wirklich sinnlos oder können besser durch andere Materialien substituiert werden?
Michael Carus: Was ist an einem Kaffee-Kunststoffrührer schlechter als an einem Holzrührer, wenn er richtig gespült oder entsorgt wird? Nichts. Im Gegenteil. Der Kunststoffrührerdürfte aufgrund seiner effizienten Produktion einen niedrigeren Carbon Footprint aufweisen und ist stofflich recycelbar. So kann aus dem Kunststoffrührer wieder ein Kunststoffrührer werden. Beim Holzrührer wird das nicht gelingen - es sei denn, Kunststoff hilft, die Holzpartikel zu binden. Dies ist nur ein Beispiel von vielen.

Will man nicht auf ökologisch schlechtere Materialien ausweichen, kommt der Single-Use Ban von Kunststoffen praktisch Produktverboten gleich. Möchten wir eine Öko-Diktatur? Ein Wettrennen um Verbote? Der eine hält Strohhalme, der andere Ballonhalter oder Kaffeekapseln für unnötig - am Ende werden wir alle viele Produkte vermissen. Wäre es nicht sinnvoller, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu respektieren und die jeweils besten Materialen und End-of-Life-Optionen zu finden, die die geringsten Umweltauswirkungen aufweisen? In vielen Fällen sind das schon heute Kunststoffe – ob PET-Flasche, Einkaufstüte oder Verpackungen, die Lebensmittel schützen – und umso mehr zukünftige Kunststoffe auf Basis von erneuerbarem Kohlenstoff, aus mechanischem und chemischem Recycling, aus Biomasse und direkter CO2-Nutzung.

Der Single-Use Ban schürt die Kunststoff-Hysterie, aber es sind nicht Kunststoffe, auf die wir verzichten sollten. Es geht darum, Kunststoffe rasch zu einer wirklich nachhaltigen Materiallösung zu machen und umfassende Entsorgung- und Recyclingsysteme aufzubauen, die das Risiko von Kunststoffen, in die Umwelt zu gelangen und Mikropartikel zu verursachen, auf ein Minimum reduzieren. Wir haben angesichts der Rohstoffsituation gar keine andere Option. Und der Verbraucher wird lernen, dass nachhaltigere Kunststoffe teurer sein werden, aber schon heute sind knapp die Hälfte der deutschen Verbraucher dazu bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben.

Svenja Geerken: Und das wird gelingen?
Michael Carus: Ich bin da Optimist. Die Kunststoffindustrie kann aus der jetzigen Krise wie der Phönix aus der Asche neu und gestärkt hervorgehen - wenn sie jetzt ihre Hausaufgaben macht und die Probleme konsequent angeht und löst, und endlich begreift, dass es keine Kommunikationsprobleme sind! Inzwischen gibt es erste, längst überfällige Schritte: Rund 30 führende Chemie-Unternehmen, die weltweit entlang der Wertschöpfungskette agieren, haben sich in der „Alliance to End Plastic Waste (AEPW)“ organisiert und wollen in den nächsten fünf Jahren rund 1,5 Milliarden Dollar investieren, um Projekte für Müllmanagement, zirkuläre Wirtschaft sowie neue Recycling-Technologien zu fördern.

Hersteller von Konsumentenprodukten beginnen endlich, ihre Verpackungen aus 100 Prozent Recyclingware zu produzieren und sie vollständig recyclingfähig zu machen. Auch das gezielte Sammeln von Plastikmüll startet mit ersten Projekten. So sammeln auf Haiti die Bewohner Plastikmüll ein, dieses Jahr sollen es schon 300 Tonnen werden. Im Gegenzug gibt es von Henkel Sachleistungen wie Holzkohle zum Kochen, Voucher für den Schulbesuch der Kinder und die Möglichkeit, Handys aufzuladen, oder einfach Bargeld. Eine gute Idee, eingesammelten Plastikmüll als Rohstoff zu kaufen. Das sollte weltweit Schule machen.

Svenja Geerken: Danke für das aufschlussreiche Gespräch.