
Photovoltaikanlagen sind auf den Dächern von Industriebetrieben längst keine Seltenheit mehr. Hohe Energiepreise sowie Abnahmegrenzen und instabile Netze in manchen Ländern und Regionen machen es lukrativ, sich ein Stück weit vom Strommarkt unabhängig zu machen. Zumal die Nutzung erneuerbarer Energien auch einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen leistet. Gleichzeitig gibt es noch viele ungenutzte Potenziale bei der effizienten Nutzung von Energie. Gemeinsam mit seinem Partner Inesco unterstützt Wittmann Spritzgießbetriebe dabei, diese zu erschließen. Der Schlüssel liegt in der Nutzung von Gleichstrom als direkte Energiequelle.
Im Jahr 2022 stellte Wittmann auf der K-Messe in Düsseldorf eine Spritzgieß-Produktionszelle als Konzeptstudie vor, auf der Elektronikbauteile aus flammgeschütztem Polyamid hergestellt werden. Diese war mit Solarzellen ausgestattet. Spritzgießmaschine und Roboter werden über einen Gleichspannungszwischenkreis direkt mit Solarenergie betrieben. Nur ein Jahr später, auf der Fakuma 2023, präsentierte Wittmann erneut eine Produktionszelle, die direkt mit Gleichstrom aus Sonnenenergie betrieben wird, diesmal als serienreife Lösung inklusive Solarstromspeicher. Für die Industrialisierung und Vermarktung der DC-Spritzgießtechnologie hat Wittmann inzwischen einen Partner gefunden. Das Unternehmen Inesco beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren mit der Frage, wie regenerative Energien im großen Maßstab sinnvoll genutzt und effizient gespeichert werden können. Inzwischen wurden die ersten DC-fähigen Spritzgießmaschinen verkauft.
Gleichstrom rückt Versorgungssicherheit in den Fokus
Solarenergie ist wie andere erneuerbare Energien Gleichstrom (DC). Die allgemeine Stromversorgung erfolgt jedoch mit Wechselstrom (AC). Um die alternativen Energien nutzen zu können, werden Stromrichter eingesetzt. Für den Transport und die Verteilung wird Gleichstrom in Wechselstrom umgewandelt und beim Energieverbraucher teilweise wieder in Gleichstrom umgewandelt. Denn viele Verbraucher arbeiten mit Gleichstrom. Allen voran sind dies Frequenzumrichter zur stufenlosen Drehzahlregelung von elektromotorischen Systemen. Denn Elektromotoren haben im industriellen Umfeld einen Stromverbrauchsanteil von 70 Prozent. Weitere Beispiele für Gleichstromverbraucher sind Computer, Fernseher, LED-Lampen und Elektrofahrzeuge. Sowohl in der industriellen Produktion als auch im täglichen Leben findet also eine ständige Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom und umgekehrt statt. Bei jeder Umwandlung geht ein Teil der Energie verloren. Pro Umwandlungsschritt beträgt der Verlust zwei bis vier Prozent.
Gleichstromnetze fördern Klimaneutralität
Neben dem Einsparen von Energie und der damit verbundenen Verringerung des CO2-Fußabdrucks gibt es weitere Motivationsfaktoren, sich mit den Möglichkeiten der DC-Technologie auseinanderzusetzen. Es geht in erster Linie um die Versorgungssicherheit. Der steigende Stromverbrauch durch unter anderem Elektroautos und Wärmepumpen sowie die voranschreitende Elektrifizierung der Industrieproduktion belasten zunehmend das vorhandene Stromnetz. Der Ausbau hinkt oft hinterer. Zumal die rasant steigende Einspeisung von Solarstrom die Netze zusätzlich belastet und instabiler macht. Selbst in Ländern mit einer sehr guten Stromversorgung, wie Deutschland oder Österreich, könnte es zukünftig vermehrt zu Netzausfällen oder Verbrauchsbegrenzungen kommen, fürchten Experten. Gleichstromnetze könnten hier zu einem wichtigen Baustein der Versorgungssicherheit und Klimaneutralität werden. Hierzu trägt bei, dass sich Gleichstrom gut in Batterien speichern lässt und sich teure Stromspitzen damit effizient abdecken lassen.
Ein weiteres Argument ist die größere Ressourceneffizienz beim Ausbau der Stromnetze. Drei-Leiter-Gleichstromnetze erfordern mit den heute verfügbaren Technologien deutlich weniger Kupfer als Leitermaterial als Fünf-Leiter-AC-Netze und zudem weniger elektronische Bauteile. Gleichrichter in den Geräten zum Beispiel entfallen komplett.
Solarspeicherbatterie hält Leistung konstant
Wie kann die direkte Nutzung von Solarenergie im Spritzgießbetrieb konkret aussehen? Die Lösung von Wittmann basiert auf drei Komponenten: Einer für die DC-Technologie modifizierten Wittmann Spritzgießmaschine oder Produktionszelle, dem „DConnect“ Gleichstromnetz von Inesco und einer Sodistore Max Speicherbatterie auf Basis von Natriumsalz. Die Batterie wurde gezielt für den nachhaltigen Einsatz in Industrieunternehmen entwickelt.
„DConnect“ bildet quasi das Rückgrat der Gleichstromversorgung im Betrieb. Es handelt sich um ein selbstregelndes DC-Microgrid, in das sich DC-Produzenten und DC-Verbraucher einfach einbinden und miteinander verbinden lassen. „DConnect“ kommt ohne externen Controller aus und benötigt keinen Internetanschluss. Damit ist das System vor Cyber-Kriminalität sicher geschützt.
Natrium-Ionen-Batterien erreichen gleiche Energiedichte wie Lithium-Batterien
Die Aufgabe der DC-gekoppelten Speicherbatterie ist es, eine konstante Spannung sicherzustellen. Das muss auch funktionieren, auch wenn verschiedene Verbraucher versorgt werden und die bereitgestellte elektrische Leistung Schwankungen unterliegt. Die mit Natriumsalz betriebenen Solarspeicherbatterien bietet Inesco in verschiedenen Größen mit Speicherkapazitäten bis zu 500 Kilowatt an. Natrium-Ionen-Batterien erreichen die gleiche Energiedichte und das gleiche Volumen wie herkömmliche Lithium-Batterien (LFP), können aber mit wesentlich höheren Leistungen geladen und entladen werden. Die Natrium-Ionen-Batterie ist deutlich umweltfreundlicher und auch sicherer als herkömmliche Lithium-Batterien. Sie enthält keine bedenklichen Materialien und kann am Ende ihrer Lebensdauer vollständig recycelt werden. Zudem benötigt sie keine Klimatisierung und kann sowohl in Innenräumen bei höheren Temperaturen bis 55 Grad Celsius als auch im Freien bei sehr niedrigen Temperaturen bis minus 20 Grad Celsius betrieben werden.
Zur Einbindung in das „DConnect“ Microgrid bietet Wittmann in einem ersten Schritt Spritzgießmaschinen der Ecopower-Baureihe sowie Linearroboter vom Typ WX in DC-Ausführung an. Kontinuierlich werden weitere Maschinenmodelle und Peripheriegeräte für die Einbindung in Gleichstromnetze entwickelt. Neu stellte Wittmann auf seinen Competence Days im Juni 2024 beispielsweise DC-Temperiergeräte vor. Um diese sicher betreiben zu können, musste auch die Verbindungstechnik angepasst werden. Gezielt für diese Anwendung wurde von der Harting Technologiegruppe ein Prototyp für einen elektrisch verriegelbaren Steckverbinder entwickelt. Im Betrieb schützt dieser sowohl die Anlage als auch die Mitarbeiter vor unbeabsichtigtem Ziehen und den damit verbundenen Lichtbögen. Durch die integrierte Signalanzeige ist jederzeit ersichtlich, ob am Steckverbinder Spannung anliegt oder nicht.
System zur Rückgewinnung kinetischer Energie zur Umwandlung von Bremsenergie in elektrische Energie
Die vollelektrischen Ecopower-Maschinen mit hochdynamischen Servomotoren für den Antrieb der Hauptbewegungen eignen sich besonders für den Einsatz am Gleichstromnetz. Sie sind mit dem patentierten Kinetic Energy Recovery System „KERS“ ausgestattet, das bei Bremsvorgängen kinetische Energie in elektrische Energie umwandelt. Im klassischen AC-Betrieb kann diese Energie nur innerhalb der Maschine genutzt werden, zum Beispiel für die Zylinderheizung. Integriert in ein Gleichstromnetz kann die zurückgewonnene Energie auch in das Gleichstromnetz zurückgespeist werden, um sie anderen Verbrauchern zur Verfügung zu stellen oder in der Batterie zu speichern.
Auch der Wittmann-Roboter in DC-Ausführung, der direkt aus dem DC-Zwischenkreis der Ecopower-Maschine versorgt wird, speist beim Bremsen überschüssige Energie in den Zwischenkreis zurück. Die auf den letzten Messen gezeigte Produktionszelle mit einer Spritzgießmaschine „Ecopower B8X 180/750+“ produzierte mit der installierten Salzspeicherkapazität von 45 Kilowattstunden über den gesamten Messetag von acht Stunden unterbrechungsfrei, ohne dass zwischenzeitlich auf das AC-Netz umgeschaltet werden musste.
Energiebedarf sinkt durch Gleichstrom um bis zu 15 Prozent
Die ersten Praxistests zeigen, dass allein durch die Reduktion von Wandlungsverlusten der Energiebedarf einer direkt mit DC versorgten Produktionszelle um bis zu 15 Prozent sinkt. Dabei geht es bei allen Überlegungen zur Etablierung von DC-Netzen nicht um entweder oder. Vielmehr werden sich Gleichstromnetze in immer mehr Bereichen parallel zur bestehenden Versorgung mit Wechselstrom etablieren. Sollte zum Beispiel an trüben Tagen mit weniger Sonneneinstrahlung der Batteriespeicher irgendwann erschöpft sein, schaltet das von Wittmann gemeinsam mit Inesco entwickelte System automatisch auf AC-Versorgung um. Der Übergang ist in der Produktion nicht zu spüren, die Maschine wird kontinuierlich mit konstanter Leistung versorgt.
Auch auf lange Sicht ist es wahrscheinlich, dass AC- und DC-Netze parallel existieren werden. Dies bietet den Vorteil, dass für jede Anwendung individuell entschieden werden kann, welche Stromversorgung die größte Gesamteffizienz bietet.
Technische Herausforderungen der Gleichstrom-Technologie sind gelöst
Wie schnell wird sich DC in der spritzgießverarbeitenden Industrie etablieren? Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, hängt sie doch von vielen Faktoren ab. Zunächst geht es darum, die Möglichkeiten und Vorteile der DC-Technologie breiter zu kommunizieren, noch mehr Referenzanwendungen zu finden und Erfahrungen branchenübergreifend intensiver auszutauschen.
Die technischen Herausforderungen jedenfalls sind gelöst. Es sind industrietaugliche Lösungen, Komponenten und Schutzmechanismen verfügbar. Was es darüber hinaus aber vor allem braucht, ist ein Mindchange. Die DC-Technologien muss in den Köpfen von Werksplanern, Architekten, Elektrikern und Energieberatern ankommen, um bei Neuinvestitionen von Beginn an evaluiert werden zu können.
ROI unter Umständen schon in wenigen Sekunden
Bestehende Photovoltaikanlagen lassen sich für die direkte Nutzung der DC-Energie zwar umrüsten. Der Austausch sämtlicher Wechselrichter durch DC-DC-Wandler ist jedoch mit einem sehr großen Aufwand verbunden. Am schnellsten rechnet sich der Aufbau und Betrieb eines DC-Microgrids bei der Installation einer neuen DC-gekoppelten Photovoltaik-Anlage. So lässt sich das Energie- und Lastenmanagement von Beginn an bestmöglich auslegen. Zu empfehlen ist außerdem, nicht allein die Spritzgießproduktionszellen, sondern auch die Peripherie und Teile der Infrastruktur, wie die Druckluftversorgung, die Beleuchtung und Klimatisierung, ins DC-Netz zu integrieren.
Den größten Einfluss auf den ROI nimmt jedoch die Stabilität der Stromversorgung am jeweiligen Standort. Kommt es regelmäßig zu Unterbrechungen der Stromversorgung und gibt es Begrenzungen der zur Verfügung gestellten Leistung, rechnet sich ein DC-Microgrid mit DC-gekoppeltem Batteriespeicher besonders schnell. Bei sehr kritischen Bauteilen kann sich die Investition in eine Energieversorgung mit Gleichstrom schon bei einem Blackout von wenigen Sekunden amortisieren.
Autoren:
Mario Bruckner, Area Sales Manager, Wittmann Battenfeld
Max Ursin, Leiter Entwicklung und Projekte, Inesco