Stephan Weidenfeller im Gespräch mit kunststoffindustrie-online.de
Interview mit Schneider Electric über Kunststoffrecycling und Kreislaufwirtschaft
Donnerstag, 19. September 2024
| Redaktion
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Stephan Weidenfeller, Circularity Business Development Lead für die DACH-Region Schneider Electric
Stephan Weidenfeller, Circularity Business Development Lead für die DACH-Region bei Schneider Electric, im Gespräch, Bild: kunststoffindustrie-online.de / Susanne Woggon

Schneider Electric hat sich fest der Nachhaltigkeit verpflichtet. Das Unternehmen bietet für seine Kunden aus den Bereichen Industrie, Gebäude, Energieversorgung und Rechenzentrum ein breites Spektrum an Energiemanagement- und Automatisierungslösungen an, mit dem besonders nachhaltig und zukunftssicher gewirtschaftet werden kann. Dass die Mehrheit der dabei angebotenen Hardwarekomponenten auf Kunststoff basiert, ist ein Problem, das der Tech-Konzern schon seit Jahren aktiv angeht. Im Rahmen der eigenen Nachhaltigkeitsziele stehen daher auch Kunststoffrecycling und Kreislaufwirtschaft ganz oben auf der Agenda. Stephan Weidenfeller, bei Schneider Electric als Circularity Business Development Lead für die DACH-Region tätig, berichtet: „Derzeit verarbeiten wir weltweit rund 100.000 Tonnen Kunststoff im Jahr, Tendenz steigend. Wir verfolgen daher das Ziel, dass in unseren Produkten bis Ende 2025 beim Kunststoff der Anteil an nachhaltigen Materialien auf 30 Prozent steigt. Dafür braucht es unter anderem auch die Beschaffung von biobasierten oder recycelten Kunststoffen. Theoretisch wäre auch schon die gesamte erforderliche Menge, die wir jährlich verarbeiten, auf dem Markt verfügbar, aber momentan zu einem Preis, der für uns nur schwierig darstellbar ist. Wenn man etwa im Hausbau besonders nachhaltige Projekte umsetzt, rechtfertigt der Zweck die höheren Kosten. Aber im Industriebereich lässt sich nicht bei allen Kunden argumentieren, dass die höheren Kosten mitgetragen werden müssen“.

Schneider Electric betrachtet den Markt aus zwei Perspektiven: Zum einen als Lieferant neuer Produkte, zum anderen als Abnehmer von Rohstoffen, die weiterverarbeitet werden. Für Weidenfeller die richtige Ausgangssituation, um die Kreislaufwirtschaft voranzutreiben: „Ein entscheidender Aspekt ist dabei, eine Art Rücknahmesystem zu etablieren, um die alten Produkte wieder zurückzubekommen. Besteht mit Kunden beispielsweise ein Wartungsvertrag, haben wir einen direkten Zugriff auf alte Komponenten, die wir austauschen, zurücknehmen und recyceln können. Jedoch gibt es auch den diffusen Marktbereich, in dem Komponenten über Großhändler oder Partner vertrieben werden. Auf diese Komponenten haben wir am Ende der Nutzungsdauer keinen Zugriff mehr."

Schneider Electric plant Rückführsystem für ausgediente Kunststoffkomponenten

Aus seiner Sicht ist auch für technische Kunststoffe ein Rücknahmesystem nach dem Vorbild des Verpackungsbereichs notwendig. Damit könnten genügend Rohstoffe gesammelt werden, um Rezyklate im großen Stil zu wettbewerbsfähigen Preisen zurückzugewinnen. Auch wegen eines fehlenden Sammelsystems ist es für Recyclingunternehmen im Moment noch nicht wirtschaftlich, in großem Stil Anlagen zur Herstellung von technischen Kunststoffen aus zurückgenommenen Bauteilen zu errichten. Und Weidenfeller sieht noch eine Herausforderung: „Wenn es um technische Kunststoffe geht, werden aktuell große Hoffnungen in das chemische Recycling gesetzt, bei dem die Ausgangsstoffe der Kunststoffe in erdölähnlicher Qualität zurückgewonnen werden. Bei diesen Verfahren ist man aber in vielen Bereichen noch nicht über den Status von Demonstrationsanlagen hinausgekommen.“

Derzeit wird an unterschiedlichen Verfahren zum höherwertigen Recycling gearbeitet, um Aufwand und Ertrag in ein wirtschaftliches Verhältnis zu bringen. Eines davon ist beispielsweise die lösungsmittelbasierte Technologie (Dissolution), wie sie das auf die Herstellung von Kunststoff-Rezyklaten spezialisierte Unternehmen APK einsetzt. Dabei werden die unterschiedlichen Lagen von Verpackungsmitteln mit Lösungsmitteln voneinander gelöst. Mit Zentrifugen lassen sich die Polymere dann trennen und für die Herstellung neuer Verpackungen nutzen. „Ich halte das für eine sehr vielversprechende Technologie“, kommentiert Stephan Weidenfeller. Alle Verfahren haben ihre Vor- und Nachteile und funktionieren bei unterschiedlichen Ausgangsmaterialien unterschiedlich gut. Je energieintensiver die Verfahren aber sind, desto geringer ist auch ihre Effektivität und damit am Ende auch ihre Rentabilität.

Anlagen von der Pilotphase bis zum Industriemaßstab

Weidenfeller skizziert den aktuellen Stand: „Lyondell Basell hat am Standort Wesseling die erste großtechnische Demonstrationsanlage auf Basis der „MoReTec"-Technologie für das katalytische, chemische Recycling geplant. Schneider Electric ist hier in der Energieversorgung mit an Bord. Und auch Arcus Greencycling betreibt im Industriepark Höchst in Frankfurt eine Pilotanlage mit einer Kapazität von 4.000 Tonnen pro Jahr.“ Aber das Ganze ist ein zweischneidiges Schwert. Man muss abwägen: Nutzt man die Chance, von Anfang an bei der Entwicklung und dann ganz vorne mit dabei zu sein? Oder läuft man Gefahr, auf die falschen Verfahren zu setzen? Hinzu kommt: Die Investments in chemische Verfahren liegen um ein Vielfaches höher als solche in mechanische. Auch daher zeigt sich am Markt aktuell die Tendenz, eher mechanisches Recycling einzusetzen und vor allem in eine bessere Sortierung zu investieren.

Positiv sieht Stephan Weidenfeller, dass die generelle Sensibilität für Themen wie Abfall und Recycling in Ländern wie Deutschland, Frankreich, Korea und auch Japan bereits sehr hoch ist. Er ist sich daher sicher: „Ich sehe für unsere Branche eine riesige Chance, dieses Know-how in den nächsten Jahren zu platzieren, wenn das Bewusstsein für dieses Thema weltweit stärker in den Vordergrund rückt. Wir haben jetzt die Chance, einen Teil des Marktes zu belegen. In fünf Jahren wird er so besetzt sein wie alle anderen Industriezweige auch. Zum Beispiel wird im Bereich der Sortierung auch künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Für uns als Hochtechnologieanbieter ist das ein riesiger Wachstumsmarkt. Denn es ist ein sehr energieintensiver Prozess und hier können wir mit unseren Lösungen wirklich etwas bewegen.“

Strategische Standortwahl für Anlagen zum chemischen Recycling

Beim Aufbau einer Recyclinganlage muss auch der Standort in die Überlegungen einbezogen werden. Es gilt zu entscheiden, ob die Anlage an einem Standort der chemischen Industrie errichtet wird oder eher dort, wo die Abfälle gesammelt werden. Derzeit schlägt das Pendel eher in die zweite Richtung aus. Denn um 30 Tonnen Rezyklate herzustellen, benötigt man die drei- bis vierfache Menge an Inputmaterial. Mit der richtigen Standortwahl lassen sich die erforderlichen Transportwege deutlich reduzieren. Auch muss bedacht werden, dass die Anlagen in direkter Konkurrenz zu klassischen Müllverbrennungsanlagen stehen, die Abfälle verbrennen und Wärmeenergie erzeugen. Zudem wird technischer Kunststoff auch als Ersatzbrennstoff in der Zementindustrie eingesetzt.

Doch aus Sicht von Recycling-Experte Weidenfeller sind technische Kunststoffe zu wertvoll um einfach verbrannt zu werden. Stattdessen appelliert er an den Gesetzgeber, aktiv zu werden, etwa mit einer steuerlichen Förderung von Recyclingverfahren für Rezyklate aus technischen Kunststoffen. „Um den Kreislauf zu schließen, müssen Wege gefunden werden, die verfügbaren Mengen zu erhöhen. Dazu haben wir Arbeitsgruppen gegründet, um ein Rücknahmesystem für technische Kunststoffe zu etablieren, beispielsweise für alte Steckdosen und Ähnliches bei großen Gebäudesanierungen. Dafür suchen wir Vertragspartner und analysieren die Abläufe, um für beide Seiten Wirtschaftlichkeit zu schaffen. Hier wollen wir aktiv vorangehen und Vorreiter sein, auch, indem wir die gesamte Wertschöpfungskette miteinbeziehen. Für uns ist es sehr wichtig, dass unsere Lieferanten uns Informationen darüber geben können, woher der Kunststoff kommt, den wir verarbeiten. Hierfür braucht es Daten, die man etwa mithilfe digitaler Technologien erheben kann. Das ist aber noch lange nicht überall möglich.“

Der Nachhaltigkeit verpflichtet

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Schneider Electric sein ehrgeiziges Ziel, bis Ende nächsten Jahres im Kunststoffbereich den Anteil an nachhaltigen Materialien auf 30 Prozent zu erhöhen, konsequent verfolgt. Hierfür einfach den Lieferanten zu wechseln, reicht allerdings nicht aus. Denn derzeit sind die auf dem Weltmarkt verfügbaren Mengen zu gering, um Rezyklate flächendeckend zu wettbewerbsfähigen Preisen einsetzen zu können. Das chemische Recycling von technischen Kunststoffen kann ein vielversprechendes Verfahren sein, allerdings steckt die Technologie im industriellen Maßstab noch in seinen Kinderschuhen. Die Rückgewinnung von Rohstoffen aus alten Komponenten - sei es aus der Industrie oder Gebäuden - muss forciert werden. Deshalb betont Weidenfeller abschließend: „Abfall ist wirklich ein extrem wertvoller Rohstoff, der eigentlich nur am falschen Platz liegt. Ich bin optimistisch, dass wir bei Schneider Electric unser großes Ziel in eineinhalb Jahren erreichen. Aber für uns und die gesamte Branche kann das natürlich nur der Anfang sein. Auch wenn viele Voraussetzungen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft theoretisch schon gegeben sind, braucht es noch eine gemeinsame Anstrengung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, um das volle Potenzial dieser nachhaltigen Wirtschaftsweise in die Praxis umsetzen zu können. Als Pioniere beim Thema nachhaltiges Wirtschaften bringen wir bei Schneider Electric unsere gesamte Expertise, Erfahrung und Technologien ein, damit das gelingen kann.“

Herr Weidenfeller, vielen Dank für das interessante Gespräch!

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